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Beginn und Fall der Räterepublik

Eisner ruft nach der unblutigen Novemberrevolution den Freistaat aus

1912 bis 1919 n. Chr.

Als der 91 Jahre alte Luitpold 1912 friedlich in seinem Lehnstuhl einschlief, endete mit ihm die gute, alte Prinzregentenzeit. Zwar ging es weiter mit der Thronfolge als Luitpolds 67jähriger und nahezu identisch aussehender Sohn zum König Ludwig III. ernannt wurde. Dennoch schien der Glanz der Wittelsbacher rasant zu verblassen. Die Kopie des Prinzregenten wurde vom Volk despektierlich der "Millibauer" (also der Milchbauer) genannt, weil er in Leutstetten am Würmsee Kühe züchtete. Ludwig war, wie schon sein Vater, ein Mann des Volkes, der ganz nonchalant spazieren ging und sich mit seinen bürgerlichen Freunden im Wirtshaus an der Türkenstraße traf. Seine Regentschaft sollte aber unter keinem guten Stern stehen.

Es wusste damals noch keiner, dass schlimme Zeiten bevorstanden. Noch war es aber ruhig in München als ein schmächtiger, angeblich akademischer Kunstmaler, aus Wien übersiedelte und ein bescheidenes Zimmer in der Schleißheimerstraße bezog. Ein Student, der eigentlich Adi Schicklgruber geheißen hätte, wenn nicht sein Vater, Alois, den Nachnamen abgelegt hätte und sich fortan "Hitler" nannte, war gleich zweimal in der Aufnahmeprüfung der Wiener Kunstakademie durchgefallen und wollte sich nun ausgerechnet in München mit faden Aquarellen versuchen. Er malte alles, vom Alten Hof, Alten Rathaus, Sieges- oder Sendlingertor, bis zum Hofbräuhaus. Bevor der unbegabte Aquarellmaler zum Gröfaz ("Größten Führer aller Zeiten") aufstieg und München zur "Stadt der Bewegung" ausrief, vergingen noch einige Jahre.

Zuvor noch mussten auch die Münchner die Grausamkeiten und Hungers-nöte des ersten Weltkrieges ab 1914 über sich ergehen lassen. Was als schneidiges Kriegsabenteuer mit vielen Freiwilligen begann, wandelte sich sehr schnell in Kriegsmüdigkeit, Hass auf den preußischen Militarismus im Deutschen Reich und endete am 11. November 1918 mit der Kapitulation und über 200.000 bayerischen Gefallenen.

In den letzten Kriegsjahren wurde im ganzen Reich und auch in München viel gestreikt. In vielen deutschen Städten übernahmen Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. Am 7. November 1918 versammelten sich 60.000 Männer von der SPD, dem radikalen Flügel der Unabhängigen SPD (USPD) und den Gewerkschaften auf der Theresienwiese, um zum Friedensengel zu marschieren. Es wehten viele rote Fahnen als die November-demonstration an der Isar ordnungsgemäß aufgelöst werden sollte und der bärtige Journalist, Kurt Eisner, plötzlich zur Revolution aufrief. Ohne einen einzigen Schuss wurden daraufhin alle Münchner Kasernen, Polizei-stationen und Zeitungen eingenommen.

Kurt Eisner

Abbildung: Ministerpräsident Kurt Eisner auf dem Weg zum Landtag, an der Laterne hängen noch die Wahlplakate der SPD und MSPD, dargestellt von Munichkindl (2016)

Dem ohnehin schon unbedeutenden König Ludwig III. wurde zur Flucht geraten, um seiner Verhaftung zu entgehen. Als ein königlicher Autokorso mit drei Fahrzeugen Richtung Salzburg aufbrach und bei Rosenheim im Nebel in einen Kartoffelacker rutschte, endete  damit offiziell die über 700 Jährige Regentschaft der Wittelsbacher. Während das Auto der Königsfamilie von einem königstreuen Landwirt samt Ross aus dem lehmigen Boden geborgen wurde, ließ sich Kurt Eisner am Stachus im Mathäserbräu gegen 22 Uhr Dünnbier servieren und den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wählen. Am nächsten Morgen wehten an der Frauenkirche rote Fahnen und die Münchner rieben sich die Augen, als sie erfuhren, dass sie nunmehr bayerische Volksgenossen waren und das ehemalige Königreich jetzt Freistaat und Republik sei.

Der neue Regierungschef, Kurt Eisner, war überzeugter Pazifist, gemäßigt und der preußischen Überdisziplin eher kritisch gesinnt. Eisner wohnte erst seit 1910 in München und war vor seinem politischen Amt als Journalist für die sozialdemokratische "Münchner Post" tätig. Der intellektuelle Eisner hatte rege Kontakte zum Schwabinger Künstlermilieu und machte sich gleich daran den übermächtigen Einfluss der katholischen Kirche zu stutzen. Auch wurde bestimmt, dass fortan alle Frauen, also (man stelle sich vor) auch Dienstmädchen und Mägde, wählen durften und noch völlig unvorstellbarer, nun auch gewählt werden konnten. Da der gebürtige Berliner Eisner und einige seiner sozialdemokratischen Genossen jüdisch waren, schlug Ihnen nach all diesen Änderungen immer größerer Argwohn entgegen.

Es waren chaotische Zeiten - von Links versuchten Spartakisten & kommunistische Anarchisten an Einfluss zu gewinnen und von Rechts entwickelte sich ein germanischer, deutsch-völkischer Nationalismus, der schon 1918 vom Aufstieg des Hakenkreuzes faselte. Mitte Januar fanden dann bayerische Landtagswahlen statt, die sowohl von extrem Links als auch von rechten Extremisten boykottiert wurde. Dennoch war das Ergebnis zumindest für Kurt Eisner desaströs: 66 Sitze (35%) für die BVP (Bayerische Volkspartei), 61 Sitze (33%)  für die SPD und nur jämmerliche drei Sitze (2,5%) für die Mehrheitssozialdemokratische Partei (MSPD) von Eisner 

Am Morgen des 21. Februars 1919, einem sonnigen Vorfrühlingstag, war Kurt Eisner, noch als erster amtierender Ministerpräsident auf dem Weg zum Landtag (damals in der Prannerstraße / heutige Hausnummer 8). Eisner hatte sein Rücktrittsschreiben in der Manteltasche als er feige, von hinten, von einem jungen Nationalextremisten erschossenen wurde. Schräg gegenüber vom Barista, beim Bayerischen Hof erinnert eine Bodentafel an die Ermordung von Kurt Eisner.

Beim Staatsbegräbnis waren Hunderttausende in den Straßen und Heinrich Mann sagte bei der Beerdigung:

"Die 100 Tage der Regierung Eisner haben mehr Idee, mehr Freuden der Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die 50 Jahre vorher."

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